Neujahrswünsche bzw. Beitrag für das Jahr 2024
„Das neue Jahr sei ein Jahr des Lichtes, der Liebe und des Schaffens. Bringe den Menschen die Krone des Lebens und lasse die Kronen dieses Lebens menschlich sein. Setze dem Überfluss Grenzen und lasse die Grenzen überflüssig werden. Gib allem Glauben seine Freiheit und mache die Freiheit zum Glauben aller. Nimm den Ehefrauen das letzte Wort und erinnere die Ehemänner dagegen an ihr erstes. Lasse die Leute kein falsches Geld machen, aber auch das Geld keine falschen Leute. Gib den Regierungen ein besseres Deutsch und den Deutschen bessere Regierungen. Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde. Gib den Gutgesinnten eine gute Gesinnung; lasse die Wissenschaft Wissen schaffen. Und lasse die, die rechtschaffen sind, auch Recht schaffen. Lasse uns nicht vergessen, dass wir alle von Gottes Gnaden sind und dass alle allerhöchsten Menschen Demokraten waren. Gib unserem Verstand Herz und unserem Herzen Verstand, auf dass unsere Seele schon hier selig wird. Sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen – aber noch lange nicht!“
Wünsche eines Dorfpfarrers in Mecklenburg, die er in seiner Neujahrspredigt am 1. Januar 1864 äußerte.
Yoga-Sūtra II/48 (Patañjali)
Patanjali verwendet den Begriff der „Unendlichkeit“ in der am letzten Kursabend besprochenen Sutra II/47 als Chiffre für Gott, das Selbst, das Ewig-Unvergängliche. Wenn wir uns mit diesem Unendlichen verbinden, dann – so sagt die Sutra – verlieren die Gegensatzpaare ihren Einfluss. Patanjali bleibt also auch hier seinem Prinzip treu, zuerst die Übung zu beschreiben und dann die Wirkung daraus zu benennen. Typische Gegensatzpaare sind Hitze und Kälte, reich und arm, „gut“ und „böse“, gesund und krank, Krieg und Frieden usw. Im Internet sehr präsent ist ein Dvandva (Gegensatzpaar), die Likes und Dislikes, meist symbolisiert durch die Icons Daumen hoch und Daumen runter. Von Bedeutung für das Verständnis von Sutra II/48 ist, dass es hier nicht um eine stoische Haltung in Bezug auf diese gegensätzlichen Lebenssachverhalte geht. Auch wenn es im Yoga viel um Tapas geht, wie wir sowohl beim Kriya-Yoga als auch bei den Niyamas des Achtstufigen Pfades gesehen haben. Disziplin und die Entwicklung einer gewissen Resilienz sind natürlich die Grundlage des Yogaübens. Und es ist eine gute Yoga-Übung, das was kommt und auszuhalten ist, auch anzunehmen, vielleicht auch zu sehen, was daraus zu lernen ist, und zu wachsen. An dieser Stelle jedoch geht es Patanjali gerade nicht um Tapas, sondern um eine Frucht des sich Versenkens und Verbindens mit dem größeren Ganzen.
[Näheres sowie konkrete Übungen im Sūtra-Abend mit Dr. Christian Schmidt.]
Yoga-Sūtra II/47 (Patañjali)
Sutra II/46 und II/47 gehören zusammen. Patanali geht es also nicht um die vielfältigen Körperübungen (Asanas) des Hatha-Yoga, die natürlich durchaus ihren Wert haben und hilfreich auf dem Weg zu einem gesunden Körper, einem starken Nerven- und gereinigten Energiesystem sind, mit der Folge, dass die Fähigkeit, sich zu sammeln und zu versenken (kontemplieren) zunimmt. Das in der deutschen Übersetzung verwendete Wort „Unendliche“ lautet in Sanskrit ānanta und ist abgeleitet von anantya = Unendlichkeit, Ewigkeit. Die Versenkung (Kontemplation) in diesem (Meditations-)Sitz soll also in etwas erfolgen, das hinter den vergänglichen Gedanken, Gefühlen, inneren Bildern liegt. Dies kann der Atem sein, der zumindest solange wir leben von Dauer ist und stets bleibt; Entsprechendes gilt für die Verbindung mit der Regung „Ich bin“. Dies kann auch das Mantra OM sein oder die Verbindung mit Gott (als Bild, Anrufung/Gebet …). Patanjali führt im 1. Buch eine ganze Reihe möglicher Meditationsobjekte auf, die man als Ausdruck des „Ewigen“, Dauerhaften ansehen kann. Durch diese Anbindung („Anschirren“ = Yoga) an dieses „Unendliche“ werden die vergänglichen Geistesregungen (vrtti) von der Bühne verdrängt und in den Hintergrund geschoben und dadurch geschwächt. Unsere Seele (citta) wird mehr und mehr neu „formatiert“ und auf dauerhaftes Glück hin „programmiert“. Die Wechselfälle des Lebens können nicht mehr so an uns zerren und rütteln; das „Ewige“ mit der von ihm ausgehenden Kraft begleitet und trägt uns.
Yoga-Sūtra II/46 (Patañjali)
Nachdem heutzutage Yoga vielfach mit Asanas mehr oder weniger gleichgesetzt wird, lohnt es, sich mit dem genauen Wortlaut der Sutra zu beschäftigen. Der Sanskittext, sthira-sukham-āsanam, besteht aus drei Worten, deren Übersetzung folgendermaßen ist: sthira: fest, beständig, dauerhaft, stabil; sukham: bequem, angenehm, mühelos; āsanam: Sitz, Sitzweise. Die im Sutra-Abend vorgelesenen Kommentare haben die Sutra auch durchweg zutreffend übersetzt. Sie gibt auch wenig Spielraum. Auch der Kommentar, der āsanam mit „Meditationssitz“ übersetzt, lag nicht im Ergebnis falsch, weil es in der Tat in der Sutra genau darum geht: Ein fester Sitz, der lange ausgehalten werden kann und nicht schmerzt, sondern mühelos bzw. bequem eingenommen und beibehalten werden kann. Die ältesten bekannten Yoga-Darstellungen, auf Speckstein-Siegeln aus Mohenjo Daro (2.600-1.800 v. Chr.), zeigen auch eine sitzende Gestalt in einer Meditationshaltung: Allerdings ist die dort gezeigte Sitzhaltung (bhadrāsana oder mūla-bandhāsana?) alles andere als einfach. Aber dies gilt für viele der Meditationssitze. Selbst der Schneidersitz (sukhāsana), der vom Wort „suhka“, also bequem, angenehm, mühelos, abgeleitet ist, lässt sich stabil nicht so ohne Weiteres auf längere Zeit halten. Am stabilsten ist der Lotussitz (padmāsana) oder der halbe Lotussitz (ardha padmāsana), aber gerade der zuerst genannte ist vielen Menschen, die an Stühle gewöhnt sind, gar nicht möglich. Dessen ungeachtet ist es wichtig, für sich einen Sitz zu finden, welcher der Aussage der Sutra II/46 gerecht wird. Nur so kommen wir zu einer tiefen Versenkung. Das Yoga-Sutra ist ca. 2.000 Jahre alt. So alt ist auch diese Sutra, die sich mit dem Wort Asana befasst. Die Vielzahl der Asanas aus dem Hatha-Yoga tauchen erst viel später in den klassischen Texten des Hatha-Yoga auf. So entstand die haṭha-pradīpikā ca. 1.000 Jahre später (800-1.200 n. Chr.). Und sie schreibt gleich in der ersten Sutra, dass der Hatha-Yoga „nur“ eine Vorstufe für den Raja-Yoga (= Patanjalis Yoga-Sutra) ist. Mit anderen Worten, die klassischen Yoga-Übungen aus dem Hatha-Yoga, die z.T. ebenfalls schwierig auszuführen und teilweise auch dem Tantra-Yoga zuzuordnen sind, sowie die in der Neuzeit entwickelten, vereinfachten Asanas, sind gute Hilfen, aber nicht das Entscheidende.
Um zu erwachen, sitze ruhig da
und lass Dir Atemzug für Atemzug
den Geist klären und das Herz öffnen:
Dieser dem Buddha zugeschriebene Satz beinhaltet für mich alles, was ich im Pranayama-Kurs vermitteln möchte:
„Um zu erwachen“ – das ist das, worauf wir hinarbeiten, der Grund, warum wir üben: Erkennen, was „menschengemacht“ ist – und was ewig. Was Wahrheit ist – und was Illusion.
„sitze ruhig da“ – das bedeutet: Die citta vrittis sind verschwunden – zumindest beruhigt – sodass sie nicht stören; einen nicht forttragen.
Und wir erleben die Stille. Die Stille als Kraftquelle.
Wenn wir „ruhig dasitzen“, dann sind wir mit dieser Kraftquelle verbunden; wir sind „ruhig“ und wir sind „da“.
„und lass Dir Atemzug für Atemzug“ – durch den Fokus auf den Atem gelingt das Sammeln auf einen Punkt: Atemzug für Atemzug bleibe ich beim Atem: Ich atme ein. Ich atme aus.
Atem ist Leben. Mit der Beobachtung des Atems haben wir Zugang zum SEIN.
„den Geist klären“ – mit dem Fokus auf den Atem wird der Geist geklärt – Gedanken und Gefühle, in die wir uns sonst „verwickeln“, wird die Nahrung entzogen und es ergibt sich sozusagen von selbst, dass wir Zugang zur Wahrheit bekommen.
„und das Herz öffnen“ – wenn die Klärung des Geistes glückt, wenn die Geistesschulung Wirkung zeigt, dann öffnet sich das Herz und wird weit. Das Herz als Ort der göttlichen Kraft, des universellen Bewusstseins, des reinen SEINs.
[Näheres sowie konkrete Übungen im Atem-Kurs (prāṇāyāma) mit Günter Schumacher.]